Kennst du das auch? Der Tag zieht hektisch an dir vorbei, du hetzt von einem Meeting ins nächste und auf dem Heimweg fällt dir ein, dass die Wäsche zu Hause noch klamm in der Maschine liegt und du eigentlich noch einkaufen müsstest. Aber in dreißig Minuten kommt schon der Besuch und eigentlich hättest du gern einfach mal fünf Minuten nichts getan, bevor es an der Tür klingelt. Yoga hätte sicher auch geholfen oder einfach nur ein paar Seiten in deinem neuen Buch zu lesen, das bereits seit Wochen mahnend auf deinem Nachttisch liegt. Irgendwann lese ich es, aber heute ist nicht der richtige Augenblick.
Als Ausgleich zu unserem hektischen Alltag benötigen wir kleine Anker der Entspannung, um nicht aus der Balance zu geraten. Für den einen ist es die Runde Sport, für den anderen ein Tropfen Lavendelöl auf die Schläfe oder eine kurze Meditation.
Was, wenn es zusätzlich ein Tool gäbe, das dich immer begleitet, das du immer zur Hand hast und das dich in kürzester Zeit beruhigen kann? Und was, wenn das gleiche Werkzeug dir auch dabei helfen kann, dich zu aktivieren und vitalisieren, wenn du dich gerade energie- und antriebslos fühlst?
Spoiler: Gibt es!
DEINEN ATEM
Er ist immer da und doch meist ganz unscheinbar. Jeden Tag – vom Allerersten bis zum Letzten – begleitet er dich, schenkt dir neue (Lebens-)Energie und Vitalität. Etwa 20.000 Mal am Tag atmest du ein und wieder aus. Aber wie viele dieser Atemzüge nimmst du ganz bewusst wahr?
Deine Atmung hat enorme Auswirkungen auf deinen Körper und Geist und ist eines der kraftvollsten Werkzeuge, um Stress vorzubeugen als auch zu reduzieren, dich zu beruhigen und entspannen, aber auch um neue Kraft und Energie zu tanken.
Einatmen – ausatmen.
Ich stelle dir im Folgenden ausgewählte Atemtechniken vor, die du in unterschiedlichsten Alltags- und Lebenssituationen einsetzen kannst.
Beruhigende Atemtechniken
1. Bewusste Bauchatmung
Wusstest du, dass Neugeborene automatisch tief in den Bauch ein- und ausatmen? Im Laufe unseres Lebens wechseln wir meist von der tiefen Bauchatmung zur flacheren Brustatmung. Gerade wenn es stressig wird – einen Zustand, den der moderne Mensch zum Teil täglich und andauernd erlebt – oder wenn wir Angst empfinden, wird die Atmung automatisch schneller und flacher. Der Teil des vegetativen Nervensystems, der für Erregung zuständig ist (Sympathikus), wird aktiviert, was gleichzeitig zu Anspannung und gesteigerter Herzfrequenz führt. Durch bewusstes, tiefes und langsames Atmen kannst du dieser Anspannung entgegenwirken, dein ganzes System mit Sauerstoff versorgen, deinen Blutdruck senken und dein Nervensystem ausbalancieren.
Hast du schon einmal darauf geachtet, wie du im Alltag atmest? Mit diesem kleinen Test findest du schnell heraus, ob du gerade in den Bauch- oder die Brust atmest:
Übung: Lege deine Hände auf den Unterbauch und atme ganz normal ein und aus. Versuche den gewöhnlichen Atemfluss nicht zu verändern, deinen Atem anstrengungslos ein- und ausfließen zu lassen. Was nimmst du wahr? Hebt sich deine Bauchdecke mit der Einatmung & senkt sie sich mit der Ausatmung? Dann atmest du in den Bauch. Spürst du hingegen wenig oder keine Veränderung an deinem Bauch, dann atmest du eher flach in deine Brust, die sogenannte Brustatmung. Versuch in den nächsten Tagen, wann immer du dich daran erinnerst, bewusst in den Bauch zu atmen und beobachte, was sich verändert.
In meinem Podcast „Meditationsliebe“ findest du folgende 5-minütige Meditation, in der wir die Bauchatmung gemeinsam praktizieren:
Tipp: Besonders gesund ist es, durch die Nase ein- und auszuatmen. Hierbei wird die Luft mit Hilfe der Nasenhärchen und Schleimhäute gereinigt, vorgewärmt und befeuchtet.
2. Kohärente Atmung
Die kohärente Atmung ist eine großartige und einfache Entspannungsübung, die du im Alltag jederzeit dazu nutzen kannst, dein gesamtes System zu beruhigen. Das Prinzip ist einfach: Du atmest ohne Pause durch die Nase ein und aus und achtest dabei darauf, dass Ein- und Ausatmung jeweils gleich lang sind. Kohärentes Atmen bringt Atmung, Herzschlag und Blutkreislauf in Einklang und aktiviert ganz automatisch den Teil deines Nervensystems, der für Entspannung zuständig ist, was zu einem Gefühl von Gelassenheit, Entspannung und Ausgeglichenheit beiträgt.
Anleitung: Finde in eine für dich bequeme Sitzposition. Atme einmal ganz bewusst ein und aus, bevor du mit der Übung beginnst. Atme dann langsam durch die Nase ein, zähle bis fünf und nimm dabei wahr, wie sich deine Bauchdecke hebt. Nun atmest du langsam durch die Nase wieder aus, zählst bis fünf und lässt dein Bauchdecke wieder absinken. Wiederhole diese Übung gerne täglich für mindestens fünf Minuten.
Du kannst auch die folgende Meditation aus meinem Podcast nutzen, in der ich dich durch diese Atemübung führe:
Tipp: Sollten dir fünf Sekunden am Anfang zu lang sein, kannst du auch erst einmal nur bis drei oder vier zählen. Du alleine entscheidest, was sich in diesem Moment gut und stimmig für dich anfühlt.
3. 4-7-8 Atmung
Die 4-7-8-Atmung hat ihren Ursprung im Pranayama, den yogischen Atemübungen. Sie ist ein wahres Multitalent und ganz besonders auch bei Einschlafproblemen empfohlen, da sie das vegetative Nervensystem beruhigt und dir dadurch hilft, sanft in den Schlaf zu finden.
Anleitung: Atme einmal ganz bewusst ein und vollständig wieder aus. Atme dann vier Sekunden lang durch die Nase ein, halte deinen Atem an der höchsten Stelle für sieben Sekunden an und atme acht Sekunden durch den Mund wieder aus. Wiederhole dies für mindestens 5 Minuten. Atempausen bitte nicht in der Schwangerschaft praktizieren, da das Ungeborene durchgehend mit Sauerstoff versorgt werden soll.
Probiere die 4-7-8 Atmung direkt heute Abend zum Einschlafen aus:
4. Wechselatmung
Die Wechselatmung ist ebenfalls eine Pranayama-Methode aus dem Yoga – auch bekannt unter Anuloma Viloma und Nadi Shodhana. Die Vorteile der Wechselatmung sind vielfältig: Sie hilft dir vor allem dabei, in Balance zu kommen, da sie deine maskuline und feminine Energie (Qualitäten, die jeder in sich trägt, ganz unabhängig vom Geschlecht – mehr dazu in diesem Blogbeitrag) harmonisiert. Sie fördert und unterstützt zudem die Konzentrationsfähigkeit und schenkt dir innere Ruhe und emotionale Ausgeglichenheit. Gleichzeitig öffnet und reinigt sie deine Atemwege und kann vorbeugend bei Erkältung, Heuschnupfen oder Allergien helfen.
Anleitung: Für die Wechselatmung hältst Du dir abwechselnd jeweils ein Nasenloch zu und atmest durch das andere ein und aus. Lege dazu deinen Zeige- und Ringfinger der rechten Hand auf deinen Handballen. Kleiner Finger, Ringfinger und Daumen sind gestreckt frei (Vishnu Mudra):
Verschließe das linke Nasenloch mit deinem Ringfinger, atme durch das rechte Nasenloch ein. Verschließe das rechte Nasenloch mit dem Daumen und atme durch das linke Nasenloch aus. Atme links ein, verschließe links mit dem Ringfinger und atme rechts aus. Atme wieder rechts ein, links aus, links wieder ein, rechts aus und so weiter. Du kannst, wenn du deine Praxis etwas erweitern möchtest, jeweils nach vollständigem Ein- bzw. Ausatmen eine kleine Atempause einbauen und die Wirkung dieser Pranayama-Technik dadurch noch verstärken. Atempausen bitte nicht in der Schwangerschaft praktizieren, da das Ungeborene durchgehend mit Sauerstoff versorgt werden soll.
In diesem kurzen Video erkläre ich dir noch einmal die Wechselatmung:
Aktiverende Atemtechniken
Genau wie du dich mit Hilfe deines Atems beruhigen kannst, ist es auch möglich, dich in einen energetisierten Zustand zu versetzen. Sowohl Blutdruck als auch Herzfrequenz werden bei aktivierenden Atemübungen erhöht, die Verdauung angeregt und du fühlst dich im Anschluss wach, konzentriert und leistungsfähig.
Wichtig: Fortgeschrittene Pranayama-Techniken die stark aktivierend wirken, sollten nur von Fortgeschrittenen, am besten unter Anleitung, praktiziert werden, da sie – wenn sie vollkommen unbedarft durchgeführt werden – zu Kreislaufproblemen und Übelkeit führen können.
5. Die Feueratmung
Ein Beispiel für eine aktivierende Atemübung ist die sogenannte Feueratmung (Sanskrit: Kapalabhati). Es handelt sich hierbei um eine energetisierende und entgiftende Atemübung, die vor allem für Fortgeschrittene geeignet ist. Durch stoßweises, zum Teil schnelles Atmen gelangt viel Sauerstoff in kurzer Zeit ins Blut. Die heftige Ausatmung mit Unterstützung der Bauchmuskulatur entleert die Lunge komplett und hilft dabei den Körper zu entgiften. Gleichzeitig trainiert die Feueratmung deine Bauchmuskeln.
In folgendem kurzen Video zeige ich dir, wie du diese Atemtechnik ausführst: